Mittwoch, Januar 10, 2007

Alles eine Frage der Erziehung?

Klar, es wäre schon längst mal wieder Zeit zum Bloggen gewesen. Ein klassischer Zeitpunkt, an dem ich mich gewöhnlich zu Wort melde, scheint ja das Ferienende im Allgemeinen zu sein, wenn endlich (fast) alle geplanten Erledigungen/Arbeiten vollbracht, manche gecancelt und einige wenige auf die kommenden Wochen verschoben wurden. Seit Freitag befinde ich mich in diesem Zustand. Es waren nur noch 6 Klausur-Exemplare zu korrigieren, am Montag dann mussten Noten eingetragen werden und in den kommenden Tagen folgen die diversen Zeugniskonferenzen. Da ich glücklicherweise keine Zeugnisse schreiben oder drucken muss, bleiben mir nur einige kleine Tests und Nachschreiber und der ganz normale Unterricht! Zwar waren gerade Ferien, die sehr entspannt waren, aber am Ende eben doch noch die ganzen Korrekturen ... und: Ich bin echt langsam! Jedenfalls erscheint es mir so. Ich übe immer, das Korrigieren ganz entspannt als etwas Schönes zu inszenieren. Das gelingt mir auch weitestgehend: mit Kerzen und Tee oder im Sommer im Garten, mal mit Musik, manchmal mit Fernsehserien oder Dokumentationen im Hintergrund. Ich weiß, dass das die Konzentration mindert und den Akt verlängert, aber auch das mit einberechnet, bin ich noch langsam. Es macht mir doch auch Spaß, vor allem, wenn ich sehe, wie etwas ankommt und die Früchte meiner Mühen schwarz auf weiß zu lesen sind.
Jedenfalls werden ab heute vermehrt fällige Arbeiten am Rechner gemacht, die schon lange anstanden. Da darf ich dann ruhig mal unterbrechen und etwas bloggen ...
Häufig blogge ich ja innerlich und denke nach, was ich denn mal schreiben könnte, bzw. eher umgekehrt, ich denke nach und formuliere die Dinge dann für mich so, als spräche ich zu meinem Blog. Da habe ich häufig den Eindruck, dass ich mich im Kreis drehe, denn viele Themen eignen sich ganz klar nicht zur Veröffentlichung, auch wenn sie mich gerade sehr beschäftigen und andere, die mir geeignet erscheinen, sind so fürchterlich lapidar ...
Gerade jedenfalls habe ich Steffis letzte zwei Posts gelesen und landete sehr schnell gedanklich in einem Wust von Einstellungen und Beobachtungen aus 20 Jahren Mutterschaft – also letztlich bei der Frage, was gute Erziehung sei.
In diesem Sommer habe ich darüber häufiger nachgedacht und bin dabei immer wieder bei dem Ergebnis gelandet, dass es keinen richtigen Weg gibt. Anlass war das Abitur meines Sohnes und das Nachdenken über einige Gleichaltrige, die man viele Jahre gekannt und beobachtet hat. Als ich eines Tages im September eine Mutter aus seiner Grundschulklasse traf und wir zunächst vom Abitur unserer Kinder berichteten und dann über die Mitschüler sprachen, von denen wir gehört oder die wir getroffen hatten, fiel auf, dass nur vier Schüler dieser Klasse das Abitur ohne Umwege absolviert hatten. „Jetzt bilde dir darauf mal ja nichts ein.“, hörte ich dann, als ich meiner Mutter davon berichtete. Okay, Mutter! Trotzdem war ich damals nachdenklich. Den ganzen Sommer über waren meine Gedanken immer wieder bei so Fragen wie: „Haben Eltern, deren Kinder es jetzt nicht geschafft haben, etwas falsch gemacht oder übersehen?“, „Hat sich das schon früher abgezeichnet?“, „Habe ich tatsächlich etwas richtiger gemacht als Andere?“, nicht nur wegen des Abiturs, auch sonst ... Ich hatte nicht wirklich den Eindruck, Antworten näher zu kommen. Von zwei Gleichaltrigen, die ich aus der Nähe, aber eben doch auch nicht so wirklich nah, kenne, hatte mich die Tatsache, dass sie die Zulassung bekommen hatten, dann aber durchgefallen waren, sehr, ja, wie soll ich’s sagen, „verwundert“ ist wohl ein recht passender Terminus. Ich habe ja schon an verschiedener Stelle den Wert des Abiturs verteidigt, den ich häufiger mal unterschätzt sehe. Manche Leute meinen, man müsse es nur ernsthaft versuchen ... Ich bin immer wieder beeindruckt von den Leistungen, also von dem Leistungs- und Erkenntniszuwachs der in den vier Fächern in der kurzen Zeit der Abiturvorbereitung in den letzten Wochen erfolgt. Es stellt sich aber die Frage, ob diese Kandidaten, die man am hiesigen Gymnasium so gnadenlos hat durchfallen lassen, einfach zu „blöd“ waren? Ich selbst hatte keine Antwort, mein Sohn, den ich dann irgendwann mal dazu befragt hatte, wusste zwar davon zu berichten, dass der Eine oder Andere das behauptete, dass er die These aber nicht bestätigen könne, dementieren aber auch nicht, er habe schlicht keine Ahnung. Ich war zwar froh, dass das Abitur für meinen Spross nun bewältigt war, fragte mich aber auch immer wieder ob das Versagen, wie andere es nun bereits erlebt hatten, auf uns in Zukunft bei der Studien- und Berufswahl zukommen werde. Die diesbezügliche Orientierungslosigkeit und das Herumgehampel ging mir dann schon nach wenigen Wochen mächtig auf den Wecker. Irgendwann legte ich innerlich die Frage nach der „guten“ Erziehung ad acta, ohne weiteren Erkenntnisgewinn. Lediglich beim Elternsprechtag blitzte die Frage gelegentlich auf, wenn ich versuchte, mir ein Bild von den Familienverhältnissen, weiteren Interessen und Freizeitbeschäftigungen meiner Schüler zu machen, um passende und für die Betroffenen akzeptable Lerntipps zu finden.
Letztens habe ich dann lange mit Steffi gesprochen und da haben wir auch sehr lange darüber geredet, wie man ein Kind fördert, bzw. wie man mit einem Kind lebt, das deutliche Defizite gegenüber einem normal entwickelten Kind hat. Da fiel es mir schon wieder so ansatzweise ein, dass ich mir noch nie Sorgen gemacht habe, dass ich immer geguckt habe, was ich meinen Kindern anbieten kann, was ich unterstützen kann, aber nie aus Sorge heraus oder weil ich meinte, mein Kind zu etwas zwingen zu müssen. Als ich Linus zum ersten Mal gesehen habe, habe ich mir schon gedacht, dass man sich möglicherweise fachlichen Rat holen muss, um nicht wichtige Dinge zu übersehen, aber ich habe mir keine Sorgen gemacht. Ich habe mir gedacht: Es wird so gut werden, wie sie es zusammen schaffen und das ist okay. Was ich gut kann und wohin ich doch auch sehr schnell wieder zurückfinde, das ist die Entspanntheit, denke ich. Auch in der Schule, da bin ich genervt und energisch, aber auch in Sekundenschnelle wieder ganz entspannt, denn so lehrt und lernt es sich am besten. Also gibt es vielleicht doch einige Parameter, die die Entwicklung besser unterstützen als andere? Ja, aber vermutlich wird die Entspanntheit allein nicht das Kind durchs Abitur tragen.
Heute dann las ich in Steffis Blog den Post über die Fahrradkünste ihrer Tochter und den Kommentar einer Mutter, die erläuterte, dass ihr Kind „eine ‚vorsichtige’“ sei „und deshalb mussten die ollen stützräder dran...“ und da war die Erinnerung dann doch wieder da an die Zeiten, in denen ich die Entwicklung meiner Kinder noch sehr eng begleitet habe und welche Beobachtungen ich da gemacht habe ... Da gab es doch Dinge, die ich ganz klar als Fehler gewertet habe. Seinem Kind ein zu großes Fahrrad zu kaufen oder gar mit Stützrädern fahren zu lassen, war einer davon, mag gut gemeint sein, ist aber kontraproduktiv und vermittelt dem Kind Frusterlebnisse im Bewegungsbereich von denen es meiner Meinung nach nicht zu viele haben sollte. Seinem Kind das Schwimmen vorzuenthalten, in einem Alter, in dem der Bewegungsdrang noch groß ist. Sein Kind zu Leistungssport anzuhalten, ihm aber dann Schuhe zu kaufen, mit denen es ständig ausrutscht, weil man sich weigert, sich die Schuhe genau anzusehen, bzw. viel Geld zu investieren, was zeigt, dass man sich eigentlich gar nicht interessiert und eigentlich gar nicht möchte, dass das Kind den Sport erfolgreich betreibt. Vom Kind zu fordern, dass es bestimmte Freizeitprogramme absolviert, ohne sich das jemals anzusehen, ohne über das dort Erlebte zu reden. Sein Kind auf spezielle Schulen zu schicken, ohne hinter den dort vermittelten Werten zu stehen (Waldorf, sehr beliebt). Am Spielfeldrand immer alles mit „Super!“ zu kommentieren, anderen Eltern gegenüber immer nur vom eigenen Kind zu sprechen und sich kaum einen Namen der umgebenden Kinder (im Verein) zu merken ...
Wir sehen, mein Hauptbeobachtungsfeld ist ganz klar der Sportplatz. Da kann man unglaubliche Studien treiben. Die beklagenswerten Aspekte erschöpfen sich hier noch lange nicht. Auch habe ich immer gedacht, man könne Kindern vor allem als Vorbild dienen, bzw. dass überhaupt Vorbilder gebraucht werden. Der Klavierunterricht (ich hätte ihn schon längst abgebrochen, wenn meine Mutter nicht interveniert hätte) hat auch deshalb nicht stärker angeschlagen, weil ich mich da auch nicht allzu oft austobe (meine Mutter aber auch nicht, die kann nicht mal Blockflöte spielen). Mittlerweile sind meine Tochter und ich in etwa auf dem gleichen (beklagenswerten) Stand der Fertigkeiten. Andererseits kann sie durchaus etwas mit Musik anfangen. In Chicago haben wir uns schließlich sehr viele klassische Konzerte ‚angetan’, freiwillig und mit großem Vergnügen. Dass ich das Sprachenlernen meiner Kinder nicht noch stärker gefördert habe, lag daran, dass wir zu wenig gereist sind und zu wenige Auslandskontakte hatten. Dennoch habe ich beiden Kindern immer vermittelt, dass sich so was lernen lässt, da ich schließlich auch recht viele Sprachen ganz normal in der Schule gelernt hätte. An Elternsprechtagen höre ich viiiiieeel zu häufig aus Elternmund, sie ‚könnten Fremdsprachen’ einfach nicht und könnten da auch nicht helfen. Das sieht dann bei uns doch anders aus. Überhaupt war ich immer bemüht zu zeigen, dass man große Teile des Schulpensums auch zwanzig Jahre später noch können kann. In den Fächern Geschichte, Erdkunde und Biologie konnte ich dann nicht sehr lange mithalten. In Chemie haperte es schon vor zwei oder drei Jahren, aber es gibt noch immer eine Menge Themen, bei denen ich mitreden kann. DAS war mir tatsächlich immer wichtig. Wer mich kennt, der weiß das auch. Es geht nicht darum, den Kindern die Hausaufgaben zu machen, sondern bei Fragen da zu sein und das eine oder andere trockene Detail mit Leben zu versehen.
Lottes wahnsinnig differenzierter Umgang mit Sprache und Fremdsprachen ist doch geboren aus der Lebenssituation zwischen zwei (und mit Kontakt zu weiteren) Sprachen UND aus dem Vorbild von Eltern, besonders der Mutter, die mehrere Sprachen im Alltag differenziert und adäquat, anwenden (fließend und so sowieso ...). Mich haben damals tatsächlich Leute gefragt, ob ich meine Kinder zweisprachig erziehe! So’n Quatsch! Gerade als Alleinerziehende! Ah, ja, pädagogisch ganz besonders wertvoll! Wie krampfig geht’s denn noch?
Ich befürchte, dass ich jetzt, an einem ganz normalen Mittwoch doch noch was Anderes zu tun habe und Schluss machen muss.
Eines aber noch:
Zu der Sache mit dem nicht bestandenen Abitur ist mir heute erstmals eine für mich plausible Erklärung in den Sinn gekommen. Ich kenne es eigentlich eher, dass Schüler die Zulassung nicht bekommen, nicht aber, dass viele in den Prüfungen selbst durchfallen. Heute musste ich dann an einen Referendarskollegen denken, der die ganzen zwei Jahre der Ausbildung über immer die Note 4,0 erhalten hatte. Selbst im Examen, wo Teile mit 5,0 bewertet wurden, hat man ihn dann alle Prüfungen machen lassen. Normalerweise wird die Prüfung abgebrochen, wenn das Bestehen rechnerisch nicht mehr möglich ist. Die Noten wurden die ganze Zeit (vermutlich absichtlich) so gegeben, dass rechnerisch immer noch was möglich blieb. Offenbar wollte man ihm eine Chance offen lassen. Die Prüfer sahen/vermuteten wohl ein Potenzial, von dem sie hofften, dass er es an irgendeinem Punkt mal deutlicher zeigen würde. Erst nach dem Kolloquium stand das Nichtbestehen fest. Möglicherweise ist das der Grund, warum Schüler im Abitur durchfallen, weil ihre Lehrer ihnen „die Reife“ grundsätzlich zutrauen (das Potenzial sehen), sie dann aber nicht die erwartete Leistung bringen. Das hieße, dass sie nicht zu „blöd“ sind. Dann gibt es ja Hoffnungen.
Ach ja, wie war das? Ich habe mir nie Sorgen gemacht? Stimmt. Und auch jetzt mache ich mir keine, aber die Möglichkeit, dass das anvisierte Universitätsstudium (das muss es scheinbar unbedingt sein), nicht so easy und erfolgreich verlaufen wird, wie er sich das vorstellt, sehe ich schon. Aber das ist dann sein Problem, na ja nicht ganz. Meine liebsten Kollegen können ein Lied davon singen, wenn Kinder ihr Studium kurz vor dem Abschluss abbrechen und auf Kosten der Eltern was Anderes anfangen ... Na Prost! Das kann noch heiter werden!